Schon seit einigen Wochen hatte ich eine neue E-Mail im Anschlag und heute bin ich heilfroh, dass ich sie nie verschickt habe. Denn im Gegensatz zu dem, was ich heute schreiben kann, wäre sie regelrecht depressiv ausgefallen. Vor einem Monat war ich so niedergeschlagen, dass Lincoln mir freiwillig und umsonst tausende Nadeln in die Haut gestochen hat. Nach all dem Drama mit Einwanderung, Eingewöhnung, Joblosigkeit und allgemeiner Wirtschaftsflaute, war ich gegen Anfang Dezember mit meiner ganzen Kraft mal so richtig am Ende. Wenn man ein ganzes Jahr lang immer nur am Kämpfen ist und Geduld angemahnt wird, dann möchte man doch auch irgendwann mal, dass sich die ganze Warterei und Mühe auszahlt. Noch dazu kam, dass Lincolns Eltern immer mehr Zeit in Vietnam verbrachten und ich mit dem Haushalt und allen Geschwistern nur zusätzlichen Stress hatte. Essen auftischen, erwachsenen Jungs hinterher räumen und nebenbei noch meine eigenen Sorgen bewältigen, das wurde mir einfach zu viel. Und als wäre das noch nicht genug, gab es vom Arzt noch eine potentiell angsteinflößende Diagnose, die mit viel Kosten verbunden wäre, da hier das Gesundheitssystem bekanntlich schwerkrank ist und wenn man arm ist, muss man alles selber bezahlen.

Seitdem ist nicht viel Zeit vergangen, aber alles schlagartig besser geworden. Wir sind aus dem Elternhaus ausgezogen, ich habe den perfekten Job gefunden, mein Magisterabschluss ist mir offiziell anerkannt worden und meine Gesundheit ist auch so weit in Ordnung, dass keine weitere Behandlung notwendig ist. All das ist in den letzten zwei Wochen geschehen und ich kann meinem Glück selber noch nicht ganz trauen. Ich fühle mich wie neu geboren, voller Energie, Perspektive und Optimismus.

Unser Auszug kam relativ spontan, da sich uns eine einzigartige Möglichkeit eröffnete, die so nicht wieder gekommen wäre. Der Direktor von Lincolns Akupunkturschule hat ein neues Haus gebaut und sein Altes zur Miete angeboten. Ein befreundetes Paar und ihr Baby wollten schon lange nach Columbia ziehen, um näher am Job zu sein. Und da uns auch kaum mehr etwas im Elternhaus hielt, haben wir kurzerhand zugesagt, mit ihnen einzuziehen und die Miete zu teilen. Jetzt zahlt jeder von uns 500 Dollar inklusive Nebenkosten und wir haben ein Riesenhaus zur Verfügung in zentrumsnaher Lage im Grünen. Das Ergeschoss mit Küche und Wohnzimmer teilen wir uns alle und im ersten Stock hat jedes Paar seinen eigenen Schlafzimmer-Bereich mit eigenen Bädern. Die Aufteilung ist perfekt für Gemeinschaftskochen und Geselligkeit, aber bietet auch genug Raum für individuelle Einsamkeitsbedürfnisse. Und der große Unterschied zum Zusammenleben mit Lincolns Familie ist, dass es sich hier um Leute handelt, mit denen wir hundertprozentig unseren Lebensstil und Einstellungen teilen. Bisher verläuft alles superharmonisch, friedlich und entspannt. Sogar Baby Arturo freut sich über unseren Einzug so sehr, dass er ganz vergessen hat, was Weinen ist. Außer wenn er Erbsen essen muss.

Der Job kam ebenso plötzlich und unkompliziert über mich. Im Oktober habe ich angefangen im Green Building Institute zu voluntieren. Dort habe ich bei einem Sponsoren-Event drei Jungs kennengelernt, die ein Energieberatungs-Unternehmen gegündet haben und so schnell wachsen, dass sie dringend Unterstützung brauchten. Meinen Lebenslauf fanden sie prima, nach zwei Stunden quatschen war auch klar, dass wir ideell und persönlich ganz auf einer Wellenlänge lagen und sie haben mir einen Job als Energieberater angeboten. Anstatt einen fertigen “Energy Auditor” zu engagieren, wollen sie lieber mich anlernen, weil ich noch mehr weitere Qualifikationen habe. Ich lerne jetzt also im Schnelldurchgang, wie Häuser hier gebaut werden und wie sie Energie verbrauchen. Nächste Woche fange ich dann an Hausbesuche zu machen, die Gebäudestruktur zu untersuchen und festzustellen, wo die Leute mit einfachen Modernisierungen viel Nebenkosten einsparen können. Und der Markt ist hier wirklich riesig. Nebenbei haben wir noch einige gemeinnützige Projekte laufen von Umwelterziehung in Schulen bis hin zu 100% windbetriebenen Reggae-Konzerten im Zoo von Washington. Da die Firma noch am Wachsen ist, wird auch viel Aufbauarbeit wie Website, Grafikgestaltung, Organisationsstruktur usw. anfallen. Alles in allem also ein Job ganz nach meinem Geschmack: In einer wachsenen Branche, für einen ideellen Zweck, mit viel Kreativitätsentfaltungspotenti

al. Und das Büro ist 5 Fahrradminuten von meinem neuen Haus.

Dann habe ich an Heiligabend auch endlich mal die Ergebnisse der offiziellen Evaluierung meines deutschen Abschlusses bekommen. Mein Magister wird mir voll als Bachelor+Master anerkannt und weil die Anforderungen in USA etwas niedriger liegen, habe ich für meine deutsche 1,7 hier die Höchstnote 4.0 bekommen. Das Ergebniss brauche ich nun nicht mehr, da ich ja schon einen Job gefunden habe, aber war trotzdem ganz nett für´s Ego.

So hat sich zum Ende dieses Jahres irgendwie alles ganz ohne Mühen so gefügt, wie es optimaler nicht sein könnte. Ich könnte noch stundenlang weiter schwärmen von Haus und Job, aber das hier ist zunächst der erste Überblick. Vom Job gibt es demnächst mehr und das Haus könnt ihr gerne selber besichtigen kommen, denn im Keller haben wir 2 Gästezimmer. Bis dahin gibt es erstmal ein paar Bilder auf unsere webpage: www.lincnic.com
Und hier könnt ihr euch meinen Arbeitgeber anschauen: www.greenewit.org

In diesem Sinne wünsche ich euch allen ein gewaltig gutes neues Jahr! Auf dass ihr mit viel Optimismus, Energie und Freude dem bösen R-Wort strotzt und der Wirtschaft mal so richtig zeigt, wo der Hammer hängt! Ich freue mich unbändig darauf, viele von euch im Juni zu sehen und bin überzeugt, dass 2009 ein gutes Jahr wird!
Eure Nicola